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Wer ist
arm? Wer ist reich? Was ist Armut? Und was ist Reichtum?
Vier Fragen, die sich sicherlich viele Mitmenschen unter
uns so oder ähnlich bereits einmal stellten, und doch auf diese Fragen keine eindeutigen
Antworten fanden.
Wer ist arm? Von der Weltbank wird diese Frage einer definierbaren
Armutsgrenze scheinbar eindeutig beantwortet. Sie legt die Armutsgrenze auf ein Einkommen
von durchschnittlich einen Dollar pro Tag fest, was umgerechnet nach dem gegenwärtigen
Wechselkurs etwa 0,73 Euro entspricht (Stand: 2010). Zieht der Leser nun diesen
Wert als Vergleich heran, so könnte leicht der Eindruck entstehen, in Deutschland wäre
selbst noch jeder Sozialhilfeempfänger eigentlich ja ein superreicher Mensch.
Und in der Tat, betrachten wir einmal die Realität etwas näher, eigentlich ist es so ja
auch irgendwie. Wer muss in Deutschland wirklich und beständig unter Hungererscheinungen
leiden? Wer ist durch bzw. in Folge von Naturkatastrophen ernsthaft vom Sterben bedroht?
Wer leidet unter einer Mangelversorgung an Trinkwasser?
Für ein Dach über den Kopf, und sei es nur in einem Obdachlosenasyl, sowie dem unbedingt
Erforderlichsten an Kleidung, Speisen, Trank, Heizmaterialien und medizinischer Versorgung
reicht die Stütze eigentlich und im Allgemeinen geradeso hin.
Doch nehmen wir einmal das Maß der Weltbank zur Hilfe und wenden dieses Maß der
Armutsgrenze auf Deutschland an. 0,73 Euro pro Tag mal 365 Tage, Ergebnis geteilt durch
zwölf Monde ergibt aufgerundet 23 Euro als Monatsbetrag. Nun wer in Deutschland oder in
anderen hochentwickelten europäischen Ländern mit 23 Euro im Monat hinkommen soll,
derjenige wird nicht nur auf Kleidung und Obdach verzichten müssen. Der Ärmste könnte
selbst als sparsamster Billigmarkteinkäufer nicht sehr viel länger als eine Woche von
diesem Betrag seinen Hunger stillen. Irgendwann würde er sicherlich abgemagert zusammen
brechen.
Selbst in den einstigen Ostblockländern dürfte sich dieser Wert als kaum ausreichend
erweisen. Auch wenn es in dieser östlichen Hälfte Europas um den Wechselkurs noch etwas
besser bestellt sein dürfte. So steht einer polnischen Sozialhilfeempfängerin nicht
umsonst ein Satz von umgerechnet etwa 80 Euro als monatliches Mindesteinkommen zu (Stand:
2005). Wobei hier zustehen und zur Verfügung stehen oft zwei paar Schuhe sind. Vor
allen in den unterentwickelten Gebieten, wie den polnischen Masuren, soll es an der
Tagesordnung sein, dass Dank leerer öffentlicher Kassen das zustehen Geld oft nicht
ausgezahlt werden kann. Am Ende dann oftmals nur noch eine Teilsumme den Weg in die
Taschen der Bedürftigen findet, weshalb bettelnde Kinder als Folgeerscheinung zu
beobachten sind. Doch bleiben wir vor unserer Haustür in Deutschland und gehen auch von
den Grundsummen entsprechend Harz IV aus, sowie unserer Armutsgrenze.
Armut und Unzufriedenheit begleiten oft einander. Doch Unzufriedenheit entsteht ja nicht,
wenn ein ganzes Volk in einer unterentwickelten Region wohnt, und die Unterschiede in
dieser Gesellschaft minimal sind. Nehmen wir zum Vergleich unsere Vorfahren und wie sie in
grauer Vorzeit lebten. Würden wir alle noch in der Steinzeit leben, so wären wir ganz
sicher nicht unbedingt darüber unzufrieden, weil wir nicht unsere Telefonrechnung
begleichen könnten. Wir wären auch nicht unzufrieden, wenn wir leider nicht unsere
Ratenverpflichtungen für irgendwelche Kleinkredite oder auf Teilzahlung erstandenen
Wirtschaftsgüter einhalten könnten. Nein im Gegenteil. Wir würden bereits recht
glücklich und zufrieden leben, wenn wir ein ebenso wärmendes Fell als Umhang wie unser
Nachbar unser eigen nennen könnten. Würde dann noch erlegtes Wildbrett gleichmäßig
verteilt, wie glücklich und zufrieden könnte am wärmenden Lagerfeuer jeder Tag enden.
Nun gelten in der Europäischen Union bereits Personen mit weniger als 60 Prozent des
Durchschnitteinkommens als relativ arm. Für die BRD ergab sich daraus ein statistischer
Durchschnittswert. Dieser besagt, wer in Deutschland in den alten Bundesländern über
weniger als 730 Euro und in den neuen Bundesländern über weniger als 605 Euro Einkommen
verfügt, der lebt unterhalb einer relativen Armutsgrenze. Wobei dieser Wert einem Median
des Jahres 2001 entspricht. Es sei angemerkt, bei der Berechnung wird nicht der reale
Einkommensdurchschnitt errechnet, sondern die Statistiker bedienen sich eines zentralen
Wertes (Mittelwert bzw. Median), so dass die Einkommen der oberen Zehntausend
kaum mit berücksichtigt werden. Diesen Grenzwert unterschritten im Jahre 2005 rund 13,9
Prozent der Bevölkerung und bis 2008 bereits rund 15 Prozent der deutschen Bevölkerung.
Das eigentlich Problem der Armut und der Unzufriedenheit ist hingegen ein anderes. Wem
weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung stehen, der gerät
ins soziale Abseits. Auch wenn er nicht unter Hunger, Durst oder Kälte leidet, oder auch
nicht unter fehlender medizinischer Betreuung, doch dieses soziale Abseits kann vielen
Betroffenen jegliche Lebensfreude nehmen.
Armutsgrenze - eigentlich handelt es sich im Vergleich zu unterentwickelten
Ländern nicht um echte Armut. Da ein Mensch jedoch erst dann eine Grundlage für ein
befriedigendes und glückliches Leben erhält, wenn er nicht im sozialen Abseits steht, so
ist und bleibt es eine soziale Armutsgrenze.
Woran liegt es nun, das die Zahl der Millionäre in einer ähnlichen Kurve steigt, wie die
Zahl der unterhalb der Armutsgrenze lebenden Mitbürger fällt? Bleibt es an dieser Stelle
eine unbeantwortete Frage, ob ein so reiches Land wie Deutschland es nötig hat rund 15
Prozent seiner Einwohner unter diese sozialen Armutsgrenze fallen zu lassen? Oder können
wir diese Frage einfach und eindeutig beantworten?
Gehen wir hier von einem Ja aus, die Antwort würde lauten, die Politik hat schlicht und
einfach auf ganzer Breite versagt ein soziales System zu erhalten und zu vervollkommnen.
Der Leser kann sich nun mit dieser Antwort anfreunden oder Einwände vorbringen, sich
drehen und winden wie er will, die Antwort ist und bleibt so einfach.
Aus dieser Einfachheit ergibt sich nur eine erneute Frage und diese würde lauten, zu was
brauchen wir einen aufgeblähten Staatsapparat, wenn dieser doch kein sozial
ausgleichendes System verwalten kann? Ja, doch, wir brauchen einen Staatsapparat, um nicht
in Anarchie und Chaos zu versinken, auch um ein sozial ausgleichendes System in der
Marktwirtschaft zu erhalten und zu verwalten. Doch es ist nicht Sache und ausschließliche
Angelegenheit der Industrie und Wirtschaft, in Eigenregie ausreichende Zahlen an
Arbeitsplätzen zu schaffen, auch wenn dies von einzelnen Politikern gern so als Ausrede
in der Argumentation gebraucht wird. Es ist Angelegenheit der Wirtschaftspolitik die
Wirtschaft so zu lenken, dass das Volk durch die Wirtschaft über ausreichend Güter und
Einkommen verfügt. Denn in der sozialen Marktwirtschaft soll die Wirtschaft eines Staates
für das Volk da sein, um das Volk zu ernähren und zu versorgen. Ist jedoch nur ein Teil
des Volkes dafür da um die Wirtschaft am Laufen zu halten, so ist es keine soziale
Marktwirtschaft mehr, sondern primitivster Kapitalismus, im dem nur der Profit des
Kapitalisten zählt.
Schweifen wir zur Untermauerung gedanklich doch einmal in die Steinzeit ab. Stellen wir
uns vor, unsere kleine Sippe bestünde aus 3 Frauen und 3 Männern. Jeder kann sich
folgendes Szenario sicherlich gut vorstellen. Einer der Männer hatte Erfolg bei der Jagd,
die Männer teilen das erlegte Wildbrett auf, die Frauen bereiten es zu.
Nun beschließt einer der Männer eine kleine Neuerung einzuführen. In versammelter Runde
spricht er mit dem Rest der Sippe. "Hört zu Freunde, ab morgen werden wir vieles
anders machen. Ab morgen werde ich nur noch verwalten wie ein Politiker und einteilen wie
ein großer Chef. Dafür steht mir dann auch die Hälfte des erlegten Wildes zu. Die
andere Hälfte steht dem glücklichen Jäger und dessen Frau zu. Die restlichen
Sippenmitglieder bekommen jedoch auch noch weiterhin soviel zugeteilt, dass sie nicht
verhungern müssen. Doch nur wenn wir es ab morgen so handhaben, kann ich mir einen
großen Vorrat zulegen, ohne selbst produktiv arbeiten zu müssen".
In der Steinzeit hätte er diese Worte vermutlich kaum ausgesprochen und wäre vom Rest
der Sippe gemeinschaftlich erschlagen worden. In der Neuzeit sieht es anders aus, da wird
dieses sozialfeindliche Verhalten zuweilen durch ein politisches Märchengebilde bis zur
Unkenntlichkeit verklärt. Wie könnte es ansonsten sein, dass 10 Prozent der
Haushalte über 47 Prozent des privaten Vermögens verfügen? Sicher sollte und muss es
Differenzierungen geben. Wer viel an Leistungen für die Sozialgemeinschaft erbringt,
sollte auch mehr verdienen. Wie groß die unterschiedliche Vergütungspanne dabei sein
sollte, das steht auf einem anderen Blatt. Gegenwärtig ist sie jedenfalls wohl zu groß,
was letztendlich die sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich zum Ausdruck
bringt. Hier wäre die Politik wesentlich mehr gefragt als bisher, um sozial ausgeglichene
Lösungen zu finden.
Wer ist reich? Einfach formuliert, ein Mensch, der vom Einkommen her nicht im
sozialen Abseits steht und sich seines inneren Reichtums bewusst wird.
Ein Staat ist reich, wenn er lernt mit seinem größten Reichtum umzugehen und für sich
zu gewinnen. Und der Größte Reichtum eines Staates besteht nun einmal aus seinen
heranwachsenden Jugendlichen. Geht der Leser nun davon aus, dass in der reichen
Bundesrepublik Deutschland rund 15 Prozent der Kinder bis 14 Jahre und 19,1 Prozent der
Jugendlichen bis 24 Jahre unterhalb der Armutsgrenze leben (Stand: 2005), so ist
Deutschland eigentlich ein sehr armes Land. Nicht arm vom materiellen Werten her besehen,
nicht arm vom finanziellen Werten her, doch arm an weitsichtigen Politikern. Ein
Erwachsener kann eventuell noch mit seiner Lage umgehen, doch wie verhält es sich mit
Kindern und Jugendlichen. Gerade bei ihnen macht sich diese soziale Armutsgrenze in Form
von Ausgrenzung verstärkt bemerkbar und wird als Belastung empfunden. Die Spannweite der
sozialen Ausgrenzung reicht hierbei vom "nicht teilnehmen können" an
schulischen Veranstaltungen, über beengte Wohnverhältnisse, bis zu veralteter und
unmoderner Kleidung.
Was ist ein politisches System wert, wenn es einen Teil seiner
Jugendlichen zu sozialen Außenseitern macht?
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